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Internationale Freizügigkeit als Menschenrecht

Internationale Freizügigkeit als Menschenrecht

vonBrezger, Jan
Deutsch, Erscheinungstermin 08.11.2018
lieferbar

eBook

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Buch (broschiert)

45,00 €
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Informationen zum Titel

978-3-593-43974-7
Frankfurt
08.11.2018
2018
1
1. Auflage
eBook
PDF mit digitalem Wasserzeichen
286
Frankfurt
Deutsch
Inhalt
Vorwort 9
1. Einleitung 13
1.1 Das Recht aus Ausschluss als "Conventional View" 13
1.2 Forschungsstand und Forschungslücke: Die Debatte um ein Recht auf Einwanderung und ein Recht auf Ausschluss 20
1.3 Definition: Das moralische Menschenrecht auf internationale Freizügigkeit 38
1.4 Mögliche Argumentationspfade für ein Menschenrecht auf internationale Freizügigkeit 49
1.5 Ausblick auf die folgenden Kapitel 53
2. Der menschenrechtliche Argumentationsrahmen Individuelle Selbstbestimmung als ein Grund der Menschenrechte 57
2.1 Individuelle Selbstbestimmung 58
2.2 Individuelle Selbstbestimmung in Griffins Menschenrechtskonzeption 62
2.3 Individuelle Selbstbestimmung im Rahmen von Tasioulas' Menschenrechtskonzeption 71
2.4 Individuelle Selbstbestimmung als "sektiererische" Grundlage? 88
2.5 Fazit 97
3. Individuelle Selbstbestimmung und internationale Freizügigkeit 99
3.1 Die Signifikanz der Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit 100
3.2 Das Ausmaß des Menschenrechts auf Freizügigkeit 116
3.3 Der Einwand einer adäquaten Bandbreite von Optionen 121
3.4 Freizügigkeit als "mitgliedschaftsspezifisches Menschenrecht"? 137
3.5 Fazit 146
4. Kollektive Selbstbestimmung als Rechtfertigungsgrundlage eines Rechts auf Ausschluss 149
4.1 Zwei einfache Lösungen: Souveränität als Trumpf oder Vorrang der Menschenrechte 151
4.2 Assoziationsfreiheit als Grundlage eines Rechts auf Ausschluss 158
4.3 Gemeinsames Eigentum als Grundlage eines Rechts auf Ausschluss 167
4.4 Die Freiheit von zusätzlichen Pflichten als Grundlage eines Rechts auf Ausschluss 179
4.5 Nationale Selbstbestimmung als Grundlage eines Rechts auf Ausschluss 187
4.6 Fazit 193
5. Der Schutz moralisch erheblicher Güter und Institutionen als Rechtfertigungsgrundlage eines Rechts auf Ausschluss 197
5.1 Schutzargumente mit Blick auf den Zielstaat 199
5.2 Schutzargumente mit Blick auf den Herkunftsstaat 238
5.3 Schutzargumente mit Blick auf kumulative Effekte auf globaler Ebene 247
5.4 Fazit 256
6. Konklusion 259
6.1 Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse der vorangegangenen Kapitel 259
6.2 Sind die Existenzbedingungen moralischer Menschenrechte erfüllt? 266
6.3 Ausblick auf mögliche Implikationen 273
Literatur 275
Haben Staaten das Recht, Menschen die Einreise und die Ansiedlung auf dem eigenen Staatsgebiet zu verbieten? In der öffentlichen Diskussion wird diese Frage in der Regel gar nicht erst gestellt, sondern als beantwortet vorausgesetzt. Doch lässt sich das Recht auf die freie Entscheidung in Fragen der Einwanderung philosophisch rechtfertigen? Jede Person, so die These dieses Buches, verfügt über einen menschenrechtlichen Anspruch auf die freie Wahl des eigenen Aufenthaltsortes und des dauerhaften Wohnsitzes - nicht nur innerhalb eines Landes, sondern international.
Jan Brezger ist Politikwissenschaftler und lebt in Berlin.
Vorwort
Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um meine Dissertationsschrift, die ich im September 2016 am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der Freien Universität Berlin einreichte und im Februar 2017 verteidigte. Für die Publikation wurde die Dissertationsschrift überarbeitet.
Das Buch nimmt sich der Frage an, ob das von Staaten beziehungsweise deren Bürgerinnen beanspruchte Recht auf Autorität und Freiheit in Entscheidungen über Einwanderung gerechtfertigt ist oder ob hingegen ein moralisches Recht auf Einwanderung existiert. Ich argumentiere für letzteres und versuche zu zeigen, dass es sich hierbei um ein moralisches Menschenrecht auf internationale Freizügigkeit handelt. Jede und jeder verfügt meines Erachtens über einen menschenrechtlichen Anspruch, sich innerstaatlich und international frei zu bewegen und den Wohnort frei zu wählen.
Die Idee zu diesem Promotionsvorhaben entwickelte (s)ich im Frühjahr 2011 im Zusammenhang mit meiner Diplomarbeit. Darin ging ich der Frage nach, welche moralischen Ansprüche jene Personen, die sich in der aufenthaltsrechtlichen Illegalität befinden, geltend machen können (siehe Brezger 2011). Um mich auf diese spezifische Frage zu konzentrieren, klammerte ich die grundsätzliche Frage, ob und inwiefern der Anspruch von Staaten und Bürgerinnen auf die Kontrolle der Einwanderung gerechtfertigt ist, bewusst und explizit aus. Doch je länger ich mich mit der spezifischen Frage nach den gerechtfertigten Ansprüchen "irregulärer Migrantinnen" befasste, desto größer wurde mein Interesse an der zugrundeliegenden Frage, die nicht nur im öffentlichen Diskurs, sondern auch in der politischen Theorie und Philosophie oftmals als bereits beantwortet vorausgesetzt wird. Dabei lautet die gängige These: Selbstverständlich haben Staaten und deren Bürgerinnen das Recht, über Einwanderung nach eigenem Dafürhalten zu entscheiden (gegebenenfalls eingedenk weniger Ausnahmen wie etwa Flucht oder Familiennachzug). Eine Aufgabe und besondere Stärke der politischen Theorie und Philosophie besteht darin, derartige "Selbstverständlichkeiten" grundsätzlich infrage zu stellen. Es ist die Absicht dieses Buches, zur Hinterfragung des vermeintlich selbstverständlichen Rechts auf Entscheidungsfreiheit in der Kontrolle der Einwanderung einen Beitrag zu leisten.
Um möglichen Missverständnissen und Enttäuschungen vorzubeugen, sei bereits einleitend betont, dass dieses Buch auf viele einschlägige normative Fragen der Migration keine Antwort geben wird. Der Fokus liegt auf dem Anspruch auf internationale Freizügigkeit als Menschenrecht. Wer sich von diesem Buch hingegen eine Auseinandersetzung mit einer angemessenen Flüchtlingsdefinition oder mit einem effektiven und fairen System der Verantwortungsverteilung im Flüchtlingsschutz erhofft, wird die Lektüre möglicherweise frustriert abbrechen. Zweitens enthält dieses Buch weder konkrete Handlungsanweisungen noch spezifische Politikempfehlungen. Mein Ziel besteht nicht darin, zu zeigen, wie ein moralisches Menschenrecht auf internationale Freizügigkeit zu realisieren wäre beziehungsweise welche Maßnahmen sukzessive zu einer Gewährleistung dieses Rechts führen könnten. Mein primäres Anliegen ist die Entwicklung eines Arguments dafür, dass solch ein moralisches Menschenrecht auf internationale Freizügigkeit existiert.
Viele Menschen haben mich in meinem Promotionsvorhaben beziehungsweise in diesem Buchprojekt unterstützt. Entsprechend lang ist die Liste derjenigen, denen ich an dieser Stelle von Herzen danken möchte.
Bernd Ladwig hat mich als Doktorvater und Chef von Beginn des Promotionsprojektes bis zur Abgabe der Dissertationsschrift begleitet und es fällt mir schwer, den vielschichtigen Dank präzise in Worte zu fassen. Ihm danke ich nicht allein für die konstante Unterstützung und stete Förderung, die vertrauensvolle und wertschätzende Zusammenarbeit und den langjährigen intensiven Austausch, sondern auch für den zeitlichen und gedanklichen Freiraum, in dem ich eine eigene Position zur Frage nach einem moralischen Recht auf Einwanderung entwickeln konnte. Stefan Gosepath danke ich herzlich für den wertvollen Rat, mit dem er mir als Zweitgutachter stets zur Seite stand. Die Unterstützung und Förderung, die ich von ihm erfuhr, übertrafen meine Erwartungen an die Rolle eines Zweitgutachters bei weitem.
Als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für politische Theorie und Philosophie am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin hatte ich das Glück, Teil einer wunderbaren Gemeinschaft zu sein, in welcher der politischen Theorie und Philosophie nicht nur mit großer Leidenschaft nachgegangen wird, sondern in der auch die gegenseitige Förderung im Vordergrund steht. Hierfür und für unzählige Diskussionen und Denkanstöße zu meinem Dissertationsvorhaben bin ich Cord Schmelzle, Daniel Jacob, Andreas Oldenbourg, Timo Pongrac, Luise Katharina Müller, Nina Engwicht, Katharina Wonschik, Eva Deitert, Jorinde Schulz, Sophia Obermeyer, Schira Kaiser, Johannes Icking, Sabine Büchner und (nochmals) Bernd Ladwig äußerst dankbar. Viele aus diesem Kreis haben Kapitel aus früheren Fassungen des Manuskripts gelesen und ich verdanke ihnen zahlreiche hilfreiche Anmerkungen und konstruktive Kritik.
Einen besonderen Dank möchte ich Anna Goppel und Andreas Cassee aussprechen. Beide hatten bereits vor mir begonnen, sich dem Thema der Migration politiktheoretisch und philosophisch anzunehmen und mehrfach bin ich von Dritten darauf hingewiesen worden, dass dies für mich doch ein Nachteil beziehungsweise ein Problem sei. Stärker könnte man kaum irren. Für mich war es ein großes Geschenk, zu Beginn meiner Promotionsphase auf zwei Menschen zu treffen, die zu sehr ähnlichen Fragen arbeiteten und mit denen ich über einen langen Zeitraum hinweg intensiv über politik-theoretische und philosophische Fragen zu Migration und Flucht sprechen konnte. Aus diesem fruchtbaren und freundschaftlichen Austausch sind unzählbare Anregungen und mehrere gemeinsame Publikationen hervorgegangen. Für die langjährige, sehr große Unterstützung danke ich Anna Goppel und Andreas Cassee von Herzen.
Andreas Cassee hat außerdem große Teile des Manuskripts gelesen und ich bin ihm für viele wertvolle Hinweise auf Unklarheiten und Ungenauigkeiten in vorangegangenen Fassungen dankbar. Meiner Mutter Ilse Brezger danke ich herzlich für das genaue Korrekturlesen des Manuskripts. Die Verantwortung für etwaige Fehler liegt selbstverständlich bei mir.
Danken möchte ich außerdem den Studierenden in den von mir angebotenen Seminaren sowie allen Teilnehmenden von Kolloquien, Workshops und Konferenzen in Berlin, Bochum, Dortmund, Dubrovnik, Essen, Glasgow, Hamburg, Mainz, Manchester und Zürich. Für wertvolle Anregungen und Kritik in diesen und anderen Kontexten danke ich Svenja Ahlhaus, Oliviero Angeli, Valentin Beck, Henning Hahn, Martina Herrmann, Sabine Hohl, Rahel Jaeggi, Tamara Jugov, Lukas Kübler, Georg Lohmann, Ana Matan, Kirsten Meyer, Corinna Mieth, Mirjam Müller, Christian Neuhäuser, Andreas Niederberger, Peter Niesen, Kieran Oberman, Markus Patberg, Arnd Pollmann, Peter Schaber und Gabriel Wollner. Dem Ethik-Zentrum der Universität Zürich danke ich dafür, dass ich drei Monate als Gastwissenschaftler dort forschen durfte.
Schließlich danke ich Frank Nullmeier und den weiteren Herausgebern der Reihe "Theorie und Gesellschaft" herzlich für die Aufnahme in diese Reihe. Dem Campus Verlag und insbesondere Judith Wilke-Primavesi und Isabell Trommer danke ich ebenfalls herzlich für die sehr gute Zusammenarbeit.
Mit Blick auf all jene, die mich auf dem langen Weg von der Entwicklung erster Gedanken bis zur Abgabe, Verteidigung und Überarbeitung der Dissertationsschrift außerhalb der Universität begleitet haben, halte ich es wie Stefan Gosepath (2004: 26): "Meinen privaten Dank leiste ich lieber in anderer Form."
1. Einleitung
1.1 Das Recht auf Ausschluss als "Conventional View"
Haben Staaten beziehungsweise deren Bürgerinnen das Recht, einwanderungswilligen Personen die Einreise und die Ansiedlung auf dem jeweiligen Staatsgebiet zu untersagen? Darf der deutsche Staat beziehungsweise dürfen die deutschen Bürgerinnen frei darüber entscheiden, wem sie den temporären oder dauerhaften Aufenthalt in Deutschland gestatten? In der öffentlichen Debatte wird diese Frage in der Regel nicht gestellt, sondern als affirmativ beantwortet vorausgesetzt. Selbstverständlich dürften Staaten und deren Bürgerinnen frei darüber entscheiden, welchen Nicht-Bürgerinnen sie Einlass gewähren und wem sie die Niederlassung erlauben. Das sei ihr gutes Recht. Zwar dürfen Schutzsuchende, die bereits das staatliche Territorium erreicht haben und die notwendigen Kriterien für die Anerkennung als Flüchtling oder als subsidiär schutzberechtigte Person erfüllen, nicht ab- oder ausgewiesen werden. Ferner gilt in der Regel, dass ansässige Personen enge Familienmitglieder, die sich im Ausland befinden, zu sich holen dürfen. Doch von diesen Ausnahmen abgesehen läge es im Ermessen der Staaten beziehungsweise ihrer Bürgerinnen, ob sie Nicht-Bürgerinnen einlassen. Auch in der Auswahl jener Migrantinnen, denen sie den Zutritt erlauben, hätten sie weitestgehend freie Hand. Diese herrschende Ansicht bezeichnet Joseph Carens (2013: 10) als "the conventional moral view on immigration". Doch lässt sich das faktisch beanspruchte Recht auf die (größtenteils) freie Entscheidung in Fragen der Einwanderung auch rechtfertigen?
Mindestens vier Intuitionen sprechen dafür, das Recht der Bürgerinnen auf Ausschluss von einwanderungswilligen Nicht-Bürgerinnen nicht schlechterdings als Prämisse zu akzeptieren, sondern grundsätzlich zu hinterfragen. Erstens stellt sich die Frage, weshalb nicht jede Person an dem Ort der eigenen Wahl leben darf. Schließlich ist die Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit innerhalb der Einzelstaaten eine zentrale Grundfreiheit und ein anerkanntes Menschenrecht. Warum sollte dies international nicht ebenfalls gelten? Dies kann als Intuition der Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit als menschenrechtliche Grundfreiheit bezeichnet werden.
Zweitens ist der Geburtsort bloßer Zufall und die damit einhergehenden Vor- oder Nachteile sind pures Glück beziehungsweise Pech. Die Tatsache, in welchem Staat ich geboren werde und welche Staatsbürgerschaft ich erhalte, kann somit als "moralisch arbiträr" bezeichnet werden. Solche Fakten, so die Annahme, sollten allerdings unsere Lebenschancen nicht wesentlich beeinflussen. Das Recht auf Ausschluss scheint jedoch Bestandteil einer Ordnung zu sein, die das Auseinanderklaffen von Lebenschancen unterstützt. Menschen, die in der "Geburtslotterie" ein schlechtes Los gezogen haben und in einem armen Staat mit wenig Perspektiven aufwachsen, wird eine aussichtsreiche Möglichkeit genommen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und ihre Lebenschancen durch Migration zu verbessern. Dies kann als Intuition globaler Chancengleichheit oder auch als Intuition eines globalen Glücksegalitarismus verstanden werden.
Doch selbst wann man das Ideal globaler Chancengleichheit mit Skepsis betrachten sollte, lässt sich angesichts extremer (absoluter) Armut drittens fragen, ob man die Grenzen tatsächlich schließen darf. Denn Migration könnte die Armut der Betroffenen sowohl direkt als auch indirekt (etwa durch Rücküberweisungen) lindern. Diese Intuition gewinnt zusätzlich an Stärke, wenn man bedenkt, dass wohlhabendere Staaten eine kausale Mitverantwortung für die Existenz dieser Armut tragen (könnten). Dies ist die Intuition der Migration als Instrument zur Linderung extremer Armut.
Viertens spricht ein selbstkritischer Blick auf die Geschichte der existierenden Demokratien dafür, das Recht auf Ausschluss nicht unhinterfragt vorauszusetzen: Denn mit dem Ideal der demokratischen Inklusion aller Zwangsunterworfenen ging in der Realität oftmals der Ausschluss von einzelnen Personengruppen einher. Dies geschah zum einen auf Grundlage der Annahme, dass den entsprechenden Personen die für Autonomie notwendigen mentalen Fähigkeiten oder finanziellen Voraussetzungen fehlten (zum Beispiel Frauen, Arme, Sklaven). Zum anderen wurde jenen Personen der volle Bürgerstatus verwehrt, die aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit oder Herkunft als fremd und illoyal dargestellt wurden. Diese Intuition unterstützt die Forderung nach einem Anspruch von langansässigen Nicht-Staatsbürgerinnen auf politische Partizipationsrechte und Staatsbürgerschaft. Aber vielleicht haben auch migrationswillige Menschen im Ausland ein Anrecht auf politische Inklusion, zumindest in Fragen der Einwanderung? Schließlich sind auch sie dem Zwang der Einwanderungskontrollen unterworfen. Ich nenne dies die Intuition der demokratischen Inklusion.
In Anbetracht dieser Intuitionen ist es nicht verwunderlich, dass in der zeitgenössischen politischen Theorie und politischen Philosophie die Frage, ob die Bürgerinnen eines Staates das von ihnen beanspruchte Recht auf Ausschluss von Einwanderungswilligen rechtfertigen können, intensiv diskutiert wird. Spätestens seit der Veröffentlichung von Joseph Carens' Aufsatz "Aliens and Citizens: The Case for Open Borders" (1987, 2012 ) sehen sich all jene unter Rechtfertigungszwang, die das Recht auf eine dem eigenen Ermessen anheimgestellte Kontrolle der Einwanderung befürworten. In diesem prominenten Aufsatz argumentiert Carens, dass drei einschlägige Gerechtigkeitstheorien für eine umfangreiche Öffnung der Grenzen in Anschlag gebracht werden können. Sowohl libertäre als auch liberal-egalitaristische und utilitaristische Ansätze sprächen jeweils dafür, dass Einwanderungswillige weitestgehend Zutritt zum Zielstaat der eigenen Wahl erhalten sollten. In der Tat müssen die Verfechterinnen eines Anspruchs auf eigenmächtige Einwanderungskontrolle "ein doppeltes Recht auf Ausschluss" (Cassee/Goppel 2012a: 9) rechtfertigen: Die Bürgerinnen eines Staates beanspruchen die freie Entscheidung über den Zugang von Nicht-Bürgerinnen zum Territorium sowie zur politischen Mitgliedschaft. Erstens wollen die Bürgerinnen eigenmächtig darüber befinden, wer die Erlaubnis erteilt bekommt, sich auf dem Staatsgebiet aufzuhalten. Zweitens beanspruchen sie Entscheidungshoheit in der Frage, wer die Staatsbürgerschaft erhält und fortan als gleichberechtigte Bürgerin über die Zukunft des politischen Gemeinwesens mitentscheiden darf (vgl. Cassee/Goppel 2012a: 9).
In der normativen Migrationsdebatte ist das Recht auf Ausschluss in beiden Hinsichten stark umstritten. Hinsichtlich des Zutritts zum Territorium wird beispielsweise eingeworfen, nicht nur Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) hätten einen Anspruch auf Nicht-Zurückweisung (non-refoulement) und Aufenthalt, sondern all jene, deren Menschenrechte im Herkunftsstaat verletzt oder nicht hinreichend geschützt und erfüllt werden. Ferner wird argumentiert, dass langansässige irreguläre Migrantinnen einen Anspruch auf Regularisierung ihres Aufenthalts geltend machen könnten, der vor Ausweisung und Abschiebung schütze und mittelfristig auch zum Zugang zur politischen Mitgliedschaft berechtige. Einen Anspruch auf politische Partizipationsrechte und Staatsbürgerschaft könnten erst recht jene Nicht-Bürgerinnen geltend machen, die sich seit geraumer Zeit legal auf dem Territorium aufhalten, etwa weil sie von den Bürgerinnen als sogenannte "Gastarbeiter" eingeladen worden waren. Der politische Ausschluss von dauerhaft ansässigen Nicht-Bürgerinnen (sogenannte denizens oder auch resident non-citizens) sei mit dem demokratischen Gebot zur Inklusion nicht vereinbar.
Diesen Argumenten ist gemein, dass sie das Recht auf Ausschluss vom Territorium und der Mitgliedschaft mit Blick auf die besonderen Ansprüche spezifischer Personengruppen hinterfragen (Schutzsuchende, irreguläre Migrantinnen, "Gastarbeiter" etc.). Aber jenseits dieser Kritik wird das Recht auf Ausschluss in der normativen Migrationsdebatte auch grundsätzlich angezweifelt. Dieser zweite Strang an Einwänden argumentiert für ein generelles moralisches Recht auf Einwanderung: Jede Person habe einen gültigen Anspruch, in den Staat der eigenen Wahl einzureisen und sich dort dauerhaft niederzulassen. Dieses moralische Recht sei aber nicht gewährleistet, wenn die Bürgerinnen eines Staates nach eigenem Ermessen über die Einwanderungsgesuche potentieller Migrantinnen befinden dürfen.
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit diesem zweiten Strang an Einwänden gegen das Recht auf Ausschluss und greift die Frage auf, ob sich ein generelles moralisches Recht auf Einwanderung rechtfertigen lässt. Dabei folge ich der ersten der eingangs genannten Intuitionen: Da die Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit innerhalb der Einzelstaaten bereits als zentrale Grundfreiheit von menschenrechtlichem Rang anerkannt ist, scheint prima facie viel dafür zu sprechen, dass wir auch die internationale Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit (kurz: Freizügigkeit) als Menschenrecht betrachten sollten. Die Fragestellung der vorliegenden Arbeit lautet demnach: Lässt sich ein moralisches Menschenrecht auf internationale Freizügigkeit rechtfertigen?
Während die Frage nach einem generellen moralischen Recht auf Einwanderung in der Literatur bereits umfangreich diskutiert worden ist , lässt sich mit Blick auf die Frage nach einem Menschenrecht auf internationale Freizügigkeit eine Forschungslücke identifizieren. Das primäre Ziel dieses Buches besteht darin, einen Beitrag zur Schließung dieser Forschungslücke zu leisten, indem ein Argument für ein moralisches Menschenrecht auf internationale Freizügigkeit entwickelt und verteidigt wird. Hierbei werde ich die folgenden Thesen vertreten:
1. Individuelle Selbstbestimmung stellt einen "Grund" der Menschenrechte dar, der zur Rechtfertigung einzelner Menschenrechte herangezogen werden kann (siehe Kap. 2).
2. Die Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit ist für die individuelle Selbstbestimmung von hinreichender Signifikanz, einen menschen-rechtlichen Anspruch auf ebendiese zu rechtfertigen. Dies gilt sowohl für den innerstaatlichen als auch für den internationalen Raum (siehe Kap. 3).
3. Die Bürgerinnen eines Staates haben kein Recht, Einwanderungswillige nach eigenem Dafürhalten abzuweisen. Ein Recht auf Ausschluss lässt sich auf Basis kollektiver Selbstbestimmung nicht verteidigen (siehe Kap. 4).
4. Die Verweigerung der Einreise und des Aufenthalts von Nicht-Staatsbürgerinnen ist nur dann gerechtfertigt, wenn dies in Abwesenheit weniger invasiver Alternativen notwendig ist, um moralisch erhebliche Güter, die schwerer wiegen, zu schützen (siehe Kap. 5).
Bevor ich diese Aufgabe in Angriff nehme, gilt es jedoch, meine These zur Forschungslücke vor dem Hintergrund der normativen Debatte um ein Recht auf Einwanderung und ein Recht auf Ausschluss zu verdeutlichen (Abschnitt 1.2). Anschließend werde ich das in dieser Arbeit zu untersuchende moralische Menschenrecht auf internationale Freizügigkeit definieren (Abschnitt 1.3), drei mögliche Argumentationspfade für die Rechtfertigung dieses Menschenrechts skizzieren (Abschnitt 1.4) und einen Überblick über die folgenden Kapitel geben (Abschnitt 1.5).
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