"Höre mal, Kleines", sagte ich, "was dich jetzt so bestürzt, beruht auf einem Informationsrückstand. Niemand wird mit einem Gefühl für Schönheit geboren, oder nur wenige. In den weitaus meisten Fällen wächst die Frau in ihren Typ hinein, sie ahmt nach. Durch jahrelange Beschäftigung mit sich, durch sorgfältig ausgesuchte Kleidung, durch kosmetische Nachhilfen, durch Perücken, Hüte, Schuhe. Laß dir nicht einreden, dies sei der berufstätigen Frau nicht angemessen, im Gegenteil, gerade die Werktätige hat einen Anspruch auf solche Dinge und sogar die Verpflichtung, eine Dame aus sich zu machen. Aus einem normalen Gesicht kann immer noch was werden, vorausgesetzt, man hat Figur. Deine ist gut, noch, also, friss nicht so unmenschlich!" Erster Erfolg: Edmunda legte den Eislöffel beiseite und sah bedauernd den Sahneberg zerschmelzen. So begann ihre Erziehung zur modernen Frau.
(Aus der Erzählung "Alltag im Paradies")
Helmut H. Schulz, Jahrgang 1931, arbeitete nach dem Besuch der Oberschule im grafischen Gewerbe. Von Mitte der 1950er Jahre an publizierte er zahlreiche Aufsätze und Kurzprosa in Zeitschriften und Zeitungen der literarischen Szene in der DDR. Seit 1962 war er redaktioneller Mitarbeiter verschiedener Zeitschriften und Zeitungen, darunter die Junge Kunst, Das Magazin und das Forum. Von 1968 bis 1970 wirkte Schulz als Feature-Dramaturg im Rundfunk der DDR; von 1970 bis 1974 arbeitete er als Redakti