Wie kann sich eine Diktatur mit dem Erbe von Unrecht und Staatsverbrechen auseinandersetzen, die unter ihrer Herrschaft begangen wurden? Mit dieser Frage sah sich die Kommunistische Partei Chinas nach dem Tod Mao Zedongs im Jahr 1976 konfrontiert. Gestützt auf eine Vielzahl bislang unbekannter Dokumente...
Prolog: Zwischen Revolution und Reform Politischer Kurswechsel Historisches Unrecht und Übergangsjustiz Aufbau und Quellen
1. Revolution und historische Gerechtigkeit Schatten der Vergangenheit Verteilungsgerechtigkeit und Landreform Gefühlspolitik oder Gehirnwäsche? Die Dialektik des Terrors Der Umgang mit den städtischen Eliten Historische Gerechtigkeit und außenpolitische Staatsräson
2. Recht und Politik Recht und Revolution in der Sowjetunion Justiz im Kaiserreich und in der Republik China Revolutionäre Justizarbeiter Kampagnenjustiz und Hinrichtungsquoten Ein kommunistischer Doppelstaat? Folgsame Werkzeuge der Partei
3. Klassenjustiz und Staatsverbrechen Die Kulturrevolution Justiz und Rechtsprechungspraxis Massengewalt in der Kulturrevolution Massentötungen im Südwesten Institutionalisierter Terror Unklare Fronten Täter- und Opferkategorien im Wandel
4. Das politische Vermächtnis Mao Zedongs Gespaltene Gesellschaft, zerrüttete Politik Konsolidierung als politisches Programm Trauer auf dem Tiananmen-Platz Der Sturz der Viererbande Organisatorische Neuausrichtung Historische Gerechtigkeit als Massenkampagne Wahrheit, Praxis und Machtpolitik
5. Ordnung aus dem Chaos schaffen Dimensionen und Verfahren Rehabilitierung als Gnadenakt oder revolutionäre Ermächtigung Kaderpolitik und Aktengebirge Wiederbelebung der Einheitsfront Der Umgang mit historischen Klassenfeinden Deportationen und Zwangsumsiedlungen Das schwierige Erbe der Nationalitätenpolitik
6. Die Revision ungerechter, falscher und fehlerhafter Fälle Politische Bilanz im Sicherheitsapparat Modellfälle in der Justiz Was ist Konterrevolution? Kulturrevolutionäre Tatbestände Rechtsbewusstsein und die Demokratiemauer-Bewegung Die Theoriekonferenz des Jahres 1979 Die Justiz und das Erbe der Kulturrevolution Die Grenzen sozialistischer Gesetzlichkeit
7. Shanhou: Autoritäre Krisenbewältigung Petitionen und Herrschaftslegitimation Restitutionsforderungen und die Frage sozialistischer Eigentumsrechte Gehälter, Pensionen und die Kritik des bürgerlichen Rechts Soziale Fürsorge im Dienst politischer Stabilität
8. Fehler und Verbrechen Prozessvorbereitungen Die Kulturrevolution vor Gericht Eine neue Perspektive auf die Vergangenheit Die Herstellung eines Elitenkonsenses Geschichtspolitik im Dienst der Machtpolitik Die Suche nach Tätern jenseits der Parteizentrale Die «drei Typen Menschen» Am Scheideweg
Epilog: Die Illusion eines historischen Schlussstrichs Die «Lösung» eines historischen Problems Ein Echo aus der Tiefe der Zeit Ein doppelter Schatten
Wie kann sich eine Diktatur mit dem Erbe von Unrecht und Staatsverbrechen auseinandersetzen, die unter ihrer Herrschaft begangen wurden? Mit dieser Frage sah sich die Kommunistische Partei Chinas nach dem Tod Mao Zedongs im Jahr 1976 konfrontiert. Gestützt auf eine Vielzahl bislang unbekannter Dokumente entwirft der Freiburger Sinologe Daniel Leese ein breit angelegtes Panorama der chinesischen Politik und Gesellschaft in der kritischen Umbruchphase zwischen 1976 und 1987.
Die Massenkampagnen des «Großen Vorsitzenden» Mao Zedong hatten horrende Opferzahlen gefordert und die Volksrepublik China an den Rand eines Bürgerkriegs geführt. Unter seinen Nachfolgern begann die Kommunistische Partei ein großangelegtes Experiment historischer Krisenbewältigung. Millionen politisch Verfolgte wurden rehabilitiert, Entschädigungszahlungen geleistet und Täter vor Gericht gestellt, allen voran die «Viererbande» um Maos Frau Jiang Qing. Das Ziel bestand darin, einen Schlussstrich unter die Geschichte zu ziehen und alle Energien auf die wirtschaftliche Reformpolitik zu lenken. Aber die Schatten der Vergangenheit ließen sich nicht so einfach bannen. Gestützt auf eine Vielzahl bislang unbekannter Quellen - von vormals geheimen Reden der Parteiführung bis zu Petitionsschreiben einfacher Bürger - zeichnet Daniel Leese ein hochdifferenziertes Bild der Dekade nach Mao Zedongs Tod. Die Auswirkungen dieses Ringens um historische Gerechtigkeit sind in der chinesischen Politik und Gesellschaft bis heute spürbar.
Daniel Leese lehrt Sinologie mit dem Schwerpunkt "Geschichte und Politik des Modernen China" an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.