Maria Stepanova war schon vor dem internationalen Erfolg ihres ersten Prosawerks Nach dem Gedächtnis eine berühmte Autorin. Seit zwanzig Jahren hat sie die weltoffene Literaturszene Moskaus mitgeprägt und sich als produktive, experimentierfreudige Lyrikerin einen Namen gemacht, auch im angelsächsischen Raum. Die...
Maria Stepanova war schon vor dem internationalen Erfolg ihres ersten Prosawerks Nach dem Gedächtnis eine berühmte Autorin. Seit zwanzig Jahren hat sie die weltoffene Literaturszene Moskaus mitgeprägt und sich als produktive, experimentierfreudige Lyrikerin einen Namen gemacht, auch im angelsächsischen Raum. Die drei Langgedichte des vorliegenden Bandes, Erinnerungsarbeit in einer sich verdunkelnden Zeit, stehen in der Tradition der russischen und der amerikanischen Poesie der Moderne. »Die Dichtung, dieses absurde, vieläugige / Wesen mit den vielen Mündern, / Lebt in vielen Körpern zugleich, / Ging durch viele Körper zuvor.« Stepanova lässt die Poesie als handelnde Gestalt auftreten: Wir hören und sehen, wie sie über die Schlachtfelder des 20. Jahrhunderts schreitet, ihr Ohr an die Erde legt, den Boden aufgräbt, in den die Körper der Gefallenen eingegangen sind. Eine zerbrochene Welt wird besichtigt, und jemand ist da, der oder die alle Teile einsammelt, aufliest - sie »liest« und neu zusammensetzt. Ein messianisches Projekt? Maria Stepanova geht es um die politische, die poetische und die erotische Dimension der Körper - und dass sie alle, die toten und die lebendigen, das gleiche Recht beanspruchen: von uns gesehen, von uns wahrgenommen zu werden.
Maria Stepanova, 1972 in Moskau geboren, ist die international erfolgreichste russische Dichterin der Gegenwart. Für ihr umfangreiches lyrisches und essayistisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet. Ihr Prosadebüt Nach dem Gedächtnis (2018) wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt. Zurzeit ist sie Fellow des Wissenschaftskollegs zu Berlin.
»Stepanowa betätigt sich ein weiteres Mal als poetische Archäologin: Sie legt Verschüttetes frei, besichtigt Trümmer, setzt zusammen, was das verheerende 20. Jahrhundert auf seinen Schlachtfeldern hinterlassen hat, in der Hoffnung auf Wiederkehr des Unwiederbringlichen. Ein grosses, geradezu utopisches Projekt, das die Autorin mit unbändiger Sprachkraft und unter Aufbietung ihrer immensen Belesenheit ins Werk setzt.« (26.01.2021)