'DIE MITTE HIELT NICHT LÄNGER. Es war ein Land der Bankrotterklärungen und Zwangsversteigerungen, der täglichen Berichte über Gelegenheitsmorde und abhanden gekommene Kinder (...). Halbwüchsige trieben von einer zerrissenen Stadt in die nächste und warfen ihre Vergangenheit und ihre Zukunft ab wie Schlangen ihre...
'DIE MITTE HIELT NICHT LÄNGER. Es war ein Land der Bankrotterklärungen und Zwangsversteigerungen, der täglichen Berichte über Gelegenheitsmorde und abhanden gekommene Kinder (...). Halbwüchsige trieben von einer zerrissenen Stadt in die nächste und warfen ihre Vergangenheit und ihre Zukunft ab wie Schlangen ihre Haut; Kinder, denen die Spiele, die die Gesellschaft zusammengehalten hatten, nicht beigebracht worden waren und die sie jetzt nicht mehr lernen würden. (...) Es war kein Land in offener Revolte. Es war kein Land im Belagerungszustand. Es handelte sich um die Vereinigten Staaten von Amerika im kalten Spätfrühling des Jahres 1967.'
Joan Didion, geboren 1934 in Sacramento, Kalifornien, arbeitete als Journalistin für verschiedene amerikanische Zeitungen und war Mitherausgeberin der Vogue. Sie gilt als eine der wichtigsten Stimmen der amerikanischen Literatur, die mit ihren fünf Romanen und zahlreichen Essaybänden das intellektuelle Leben der USA im 20. Jahrhundert entscheidend prägte. Joan Didion starb im Dezember 2021 in New York.
»Es gibt Autorinnen und Autoren, die süchtig machen können. Joan Didion (1934-2021) gehört mit ihren Essays dazu. Bereits die ebenfalls gerade erschienene Essay-Sammlung „Das weiße Album“ zeigte das auf grandiose Weise. Dieses Buch aus dem Erscheinungsjahr 1968 mit Essays aus den Jahren 1961 bis 1968 ist ebenso umwerfend gut und lesenswert. Die vorzügliche Neuübersetzung der Gewinnerin des Deutschen Buchpreises 2021, der Autorin Antje Rávik Strubel, lässt Joan Didions mitreißende Sprache in ihrem ganzen Glanz erstrahlen.« (01.12.2022)