» Mein Capri ist ein unerschöpfliches Reservoir an Menschen, ein Kaleidoskop von Schicksalen, eine Bühne mit Stars, Primadonnen und Charakterdarstellern.«
» Mein Capri ist ein unerschöpfliches Reservoir an Menschen, ein Kaleidoskop von Schicksalen, eine Bühne mit Stars, Primadonnen und Charakterdarstellern.«
Wer heute nach Capri reist, dem kann vieles von dem alten Zauber, der den legendären Ruf der Insel begründet hat, entgehen. Claretta Cerio aber hat jene Zeit selbst erlebt: Als Tochter eines Deutschen und einer Italienerin auf Sylt und Capri aufgewachsen, verbrachte sie ihre intensivsten Jahre auf der Insel im Tyrrhenischen Meer, wo sie 1953 den Schriftsteller Edwin Cerio heiratete und zahlreichen Künstlerpersönlichkeiten begegnete. Jetzt erzählt sie die Geschichte der Capreser Villen und ihrer Bewohner: Sie weiß, in welcher Gesellschaft Wladimir Iljitsch Uljanow in der Villa Rossa feierte, bevor er als Lenin bekannt wurde, weshalb Alfred Krupp sich von den Capresen verstanden fühlte und warum Brecht die Insel eine 'verdammte blaue Limonade' nannte. Sie berichtet von der parabelhaften Feindschaft zwischen dem Küstenstädtchen Capri und dem Bergdorf Anacapri, von der Schrulligkeit der deutschen Pensionsgäste der 1930er Jahre und von Göttern und Naturgeistern, die der einsame Wanderer noch heute trifft, wenn er sich fern von allem Massentourismus auf die steilen Pfade des Monte Solaro wagt. Auf unwiderstehlich charmante Weise lässt Claretta Cerio den Glanz vergangener Zeiten lebendig werden. Zugleich zeichnet sie klarsichtig und mit feinem Humor ein differenziertes Bild der Insel jenseits aller Klischees, die uns von Postkarten und Schlagern bekannt sind, und bringt uns so ihr Capri nahe.
Claretta Cerio, 1927 auf Capri geboren, verlebte die ersten Jahre ihrer Kindheit auf Sylt. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zog ihre früh verwitwete italienische Mutter mit den vier Kindern zurück nach Capri. Claretta Cerio studierte Philologie an der Universität Neapel und promovierte über Capri in der deutschen Literatur. Sie ist Autorin von Romanen und Kriminalgeschichten und verfasste Texte für verschiedene Fotobücher über die Insel. Die meisten Bücher entstanden in deutscher Sprache. Heute lebt sie in der Toskana.
Spätsommer, herrliches, klares Wetter, das Meer eine zartblau seidenglänzende Tafel. Um Punkt acht Uhr morgens waren wir auf der Sirena und stiegen in das kleine Boot, das unter unserem Gewicht schwankte, bis wir uns auf die schmalen Seitenbänke gehockt hatten. Giacobbe saß schon in der Mitte auf der Bank, er spuckte in die Hände, ergriff die Ruder, tauchte sie ins Wasser, zog sie durch, hob sie heraus, tauchte sie wieder hinein, zog sie durch, im Takt, immer derselbe Ablauf, wieder und wieder und wieder. Ich schaute auf seinen Rücken und sein verwaschenes, ärmelloses Wollhemd. Sein nach vorn gestreckter grauschopfiger Kopf, der dunkel gebeizte Nacken, die kräftigen Schulterblätter, seine Arme und Hände schienen mit den Rudern verwachsen zu sein, eine Maschinerie aus Mensch und Boot, die unablässig und rhythmisch dieselben wenigen Bewegungen ausführte, damit wir in lautlosen Schüben übers Wasser glitten. Es war, als würden das leichte Knarren der Riemen an den Dollen und das schwache Glucksen am Bootsrand die große Stille um uns noch pointieren. Von der kleinen Halbinsel Sirena steuerten wir auf Punta Mulo zu, das Felsenkap, das die Bucht der Marina Piccola abgrenzt, und als wir es umschifften, verschwand das vertraute Panorama aus meinen Augen, und die Angst stieg in mir auf. Ich war in dem Alter pathologisch furchtsam, was vielleicht am frühen Tod unseres Vaters lag, jedenfalls überfielen mich auch in alltäglichen Situationen Vorstellungen der schrecklichsten Gefahren. Bei unserer Rundfahrt an jenem Morgen gab es nicht den geringsten Anlass zu Befürchtung – das Meer spiegelglatt, Windstille und Sonnenschein, Giacobbe ein mir vertrauter und erfahrener Seemann und neben mir das freundliche, zuverlässige Touristenpaar –, und trotzdem blickte ich mit Herzklopfen zu der zerklüfteten Bergwand, an der wir entlangfuhren. Unser kleines Boot würde unweigerlich an ihr zerschellen, wenn der plötzliche Orkan ausbrechen sollte, den mir meine Panik ankündigte. Es gehört zu einem sonderbaren Dualismus, dass man gleichzeitig Angst empfinden und dabei auch Schönheit wahrnehmen kann. So saß ich in stummer Beherrschung, die Hände an den Rand der Bank gekrallt, und verspürte doch auch Neugier und Staunen. Dieses langsame, lautlose Gleiten, immer längs der felsigen, hohen Küste und dicht daran, führte uns kleine Wunder vor Augen, denn man sah, was im Gestein, oben an der Luft, blühte und krabbelte, und beugte man sich über den Bootsrand, verlor sich der Blick weit unten in einem fremden, verlockenden Universum. Das Meer war so durchsichtig, dass man in der Tiefe weit unterhalb des Wasserspiegels das steinerne Fundament der Insel erkennen konnte, in den Ritzen die Seeigel und Anemonen und auf dem Grund Gräser und Algen, durch die winzige Fische blitzten. 'Jetzt kommen wir zur Grünen Grotte', meldete Herr Schlegel, der einen Reiseführer auf den Knien aufgeschlagen hielt. Bei dem Wort 'Grotte' überfielen mich neue Angstvorstellungen, während unser Boot langsam auf eine dunkle Felsenspalte zuglitt, den Eingang ins Berginnere, aus dem es uns kühl entgegenwehte. 'Zauberhaft! Zauberhaft!', rief Frau Schlegel aus, als unser Boot in die Grotte einfuhr und Giacobbe zu rudern innehielt. Spielerisch ließ er die beiden hölzernen Stangen im Wasser kreisen, das in allen Grünfärbungen schillernd aufleuchtete und zart wogend die Nuancen mischte wie in einem Topf flüssig gewordener Smaragde, Chrysoprase und Jadesteine, und dabei tanzten die Reflexe irrlichternd über die schrundigen Wände und zur Decke der Grotte. Mit dem Aplomb eines Zauberkünstlers, der gekonnt den Effekt seiner Tricks zu steigern weiß, hob Giacobbe die Stangen auf Höhe des Bootrands, und von den Ruderblättern tropften grün funkelnde Brillanten; dann strich er mit leichter, rascher Bewegung die Enden der Ruder über den Wasserspiegel, und dieser schien in abertausend leuchtend grünen Funken zu zersplittern, die wie bei einem Feuerwerk hochschnellten und, in das nasse Element zurückfallend, verloschen. Bezaubert von dem Schauspiel vergaß ich meine Ängste. Als wir jedoch wieder im Freien waren, überfielen sie mich sofort, um mir neue Gefahren zu suggerieren, denn die Küste, an der unser kleines Boot nun entlangglitt, kam mir zunehmend bedrohlicher vor. Hier befanden wir uns unterhalb der Migliara, und die zerklüftete hohe Bergwand, die Schluchten, Höhlen, Überhänge und abgefallenen riesigen Steinbrocken schienen in der furiosen Schöpferwut eines Zyklopen entstanden zu sein. Ich konnte damals nicht wissen, dass ich mit meiner Beklommenheit in guter Gesellschaft war: Wer in der üppigen und unterschiedlichen Capri-Literatur seine Impression von dieser Küstenstrecke ausdrücken wollte, hat immer wieder den Begriff 'dantesk' gebraucht oder die titanische Schaffenskraft von Michelangelo bemüht und mit Worten wie 'grandios' und 'imponierend' hantiert, doch bei aller hochgestochenen Ehrfurcht schwingen in den Beschreibungen immer auch Schauer und Bangen mit. Kein Wunder, dass der französische Künstler Gustave Doré diese Szenerie zum Vorbild für seine Illustrationen von Dantes Hölle nahm. Das steile Felsenufer flachte allmählich ab, und entsprechend beruhigte sich auch mein Gemüt; wir umrundeten Punta Carena, das Kap, auf dem der Leuchtturm steht, und nun ging es an der westlichen Inselseite weiter. An der hier niedrigen Küste gab es mehrere Buchten, die wenig Abwechslung boten, und jetzt, nachdem sich meine Angstvisionen verflüchtigt hatten, verspürte ich Ungeduld und Langeweile. Ich blickte vor mir auf Giacobbes Rücken und seine Arme mit den Rudern, die immer und immer wieder die gleichen Bewegungen ausführten – wie schrecklich langsam wir vorwärtskamen! Seit Ewigkeiten, so schien mir, saßen wir in diesem Boot, und ich wagte nicht zu fragen, wie lang es denn noch dauern würde. Herr Schlegel hatte zwar einmal, in seinem Reiseführer lesend, bemerkt: 'Capri misst siebzehn Kilometer Umfang', aber das sagte mir nicht, wie weit die Strecke war, die uns noch bevorstand. Doch glücklicherweise unterbrach Giacobbe die eintönige Ruderfahrt, er hielt vor einer niedrigen Öffnung im Steinuferund verkündete: 'Grotta Azzurra!' Wir mussten uns auf den Boden des Bootes niederkauern und glitten unter der niedrigen Wölbung des Eingangs hindurch ins Innere, und das ohne meine übliche Bänglichkeit. Ich nahm an, bei einer so weltberühmten Sehenswürdigkeit könne man sicher sein, dass sie einigermaßen stabil war und dass weder plötzlich der Berg über uns einstürzen noch ein Hochwasser uns unversehens alle an der Grottendecke zu Tode quetschen würde. Herr und Frau Schlegel sahen sich staunend um und brachen in Bewunderung aus, aber ich war enttäuscht: Ich fand die viel gepriesene Blaue Grotte nicht so doll. In den Souvenirläden hatte ich ihre Abbildung in zahllosen Ausführungen gesehen, auf Lampenschirmen, Seidenschals, Briefbeschwerern, Kuchentellern und anderen netten Scheußlichkeiten, weshalb ich sie im Grunde schon überhatte. Immerhin erntete ich unerwartet einen kleinen Erfolg, denn mir fiel eins der Nonsens-Gedichte meines Großvaters ein, und ich überwand meine Schüchternheit und sagte es auf:
'Hier schweigt das Wort und schwitzt der Pinsel:
Azzurra – Kleinod dieser Insel!' Wieder draußen, nahmen wir unser langsames Dahingleiten in der vollkommenen Stille auf, und jetzt war die niedrige Küste nicht einmal mehr von Buchten unterbrochen und noch langweiliger. Doch schließlich kamen die Ruinen der Tiberiusbäder in Sicht, bald auch die bunte Häuserreihe der Marina Grande und davor die Pferdedroschken und die Mole. Diese willkommene Abwechslung im Panorama,die einen mir vertrauten Anblick bot, verwandelte sich sofort in Schrecken, als der Halb-Elf-Uhr-Dampfer aus Neapel auftauchte und uns den Weg abschnitt, um in den Hafen zu kurven. In seinem Sog tanzte unser kleines Boot so wild auf und ab und hin und her, dass nicht nur ich aufschrie – auch Frau Schlegel kreischte: 'Ogottogottogott!' Das Meer gewann rasch wieder seine vollkommene Glätte, die unter der Mittagssonne silbern glänzte, und immer im selben Takt, unendlich langsam, wie ich es in meinem Überdruss empfand, setzte Giacobbe die Fahrt in Richtung der östlichen Inselspitze fort. Kurz bevor wir sie erreichten, sagte er: 'La Grotta del Bove Marino', und wies, ohne anzuhalten, mit einer Kopfbewegung auf eine unauffällige Öffnung in der Bergwand. 'Die ist wohl nicht interessant, der Baedeker vermerkt nichts dazu', ließ sich Herr Schlegel hören. Ich aber hätte etwas zu vermerken gehabt, denn die Grotte des Meerochsen war mir seit frühester Kindheit ein Begriff. Capris Folklore ist äußerst karg, die Insel hat kein eigenes Liedergut oder andere aus der Fantasie der Bevölkerung entstandene Zeugnisse wie mündlich überlieferte Sagen und Märchen. Die einzige Ausnahme ist il Bove Marino, der Meerochse, der seit lange vergangenen Zeiten ein zähes Leben im capresischen Volksmund behauptet. In alten Dokumenten wird er als 'Monstrum Marinum Monaci formae' angeführt, also als Seemonster in Mönchsform, aber obwohl Seeleute und Landwirte schworen, das Zwitterungeheuer mit eigenen Augen gesehen zu haben, beschrieben sie sein Aussehen höchst unterschiedlich. Sicher war jedenfalls, dass verdorrte Weinberge, verschwundene Fischernetze, erkrankte Olivenbäume, fehlende Hühner, und was Bauern und Fischern sonst noch an Misslichkeiten zustoßen konnte, auf das Konto des Meerochsen ging, der einzig zu solch bösen Zwecken nachts seine Grotte verließ und an Land stieg. In neuerer Zeit haben Zoologen vermutet, dass es sich bei dem schrecklichen Untier nur um eine harmlose Mittelmeer-Mönchsrobbe handelte, von der es in dem Küstenbereich eine Kolonie gab. Uns Geschwistern hatte die Köchin der Pension, Teresina, haarsträubende Geschichten vom Bove Marino erzählt. Mit meinen zehn Jahren hätte ich nicht zugegeben, diesen Märchen noch Glauben zu schenken, und dennoch war ich erleichtert, dass Giacobbe an der Grotte vorbeiruderte – man konnte nie wissen. Jetzt waren wir in der Meerenge zwischen Capri und der Halbinsel von Sorrent, und man spürte den starken Sog der Strömung, die unser Boot auf die offene See zu ziehen schien, was mich von Neuem in stumm beherrschten Alarm versetzte. Noch mulmiger wurde mir, als wir uns der schwindelnd hoch und steil aus dem Wasser ragenden Felsenwand des Tiberiusbergs näherten. Wie fast die ganze Zeit während dieser Fahrt ruderte Giacobbe sehr dicht an der Küste entlang, und die immense Steinpräsenz hing drohend und zumindest visuell erdrückend über unseren Köpfen. Nach dem blendenden Sonnenschein, aus dem wir kamen, war es hier im Schatten auf einmal zwielichtig feuchtkühl, nur das Knarren der Riemen an den Dollen gab der großen Stille um uns eine monotone Kadenz, und kein ermunterndes Lebenszeichen wagte, sie zu durchbrechen. Da war es beglückend, aus dem unheimlichen Halbdunkel wieder ins warme Licht zu gleiten und auch dem Sog der Meerenge entkommen zu sein, und vielleicht würde nach der nächsten Bucht die Marina Piccola auftauchen, wie ich hoffte. Stattdessen unterbrach Giacobbe die Fahrt und meldete in seiner Wortkargheit nur 'Grotta Meravigliosa', obwohl an der Küste keine Öffnung zu sehen war, die Zugang zu einer Höhlung sein konnte. In den Stein gehauen, zeichnete sich allerdings eine kleine Treppe ab, und während Giacobbe im Boot zurückblieb, stiegen wir aus, die wenigen Stufen hoch, tasteten uns durch eine kurze Passage und erreichten das überraschende Ziel. Die Wundergrotte unterschied sich von den bisher besuchten Felshöhlungen, und nicht nur, weil man nicht hineinruderte, sondern sie zu Fuß betrat. Während sich jede der mir bisher bekannten mit ihrem eigenen schillernden Farbenspiel auszeichnete, erstaunte mich diese, ganz und gar dem Namen entsprechend, durch das Wunder ihrer faszinierenden, fantastischen Dekoration: Von der Höhlendecke hingen von Kalkablagerung modellierte Tropfsteinzapfen in jeder Größe, denen vom Boden andere der gleichen Natur säulenartig entgegenragten. – Man fühlte sich in ein bizarres steinernes Gewächshaus versetzt, und diese Impression untermalte ein leises, unaufhörliches Tröpfeln, wie eine magisch aus zahllosen Poren träufelnde Wassermusik. Herr Schlegel zeigte erst in die Höhe: 'Die, die von der Decke herabhängen, heißen Stalagtiten', sagte er und wies dann zu Boden: 'Und die sich nach oben aufbauen, heißen Stalagmiten.' Stalagtiten und Stalagmiten – wie viele wesentliche Kenntnisse sind mir im Laufe der Jahre entfallen, aber diese unwichtigen Wissensschnipsel haben mich bis heute begleitet. Wir bestiegen wieder unser Boot. Noch fuhren wir an der östlichen Inselseite, aber hier war mir die Küste von Spaziergängen her vertraut, und ich erkannte einige der schönsten Aussichtspunkte: über uns die leere Augenhöhle des Arco Naturale, zwischen zwei Einbuchtungen die wie eine waldige Pfote ausgestreckte Punta Massullo, unweit die hohe, steile, Pizzolungo genannte Felsenzacke und, ihr im Meer vorgelagert, den Monacone, wie sich das Inselchen nennt, auf dem nach Meinung einiger Historiker Masgaba, ein Liebling des Tiberius, begraben liegt, während weniger romantisch geartete Gelehrte meinen, dass die angebliche Grabstätte in der Antike nur als Becken diente, in dem die im Meer gefangenen Fische bis zu ihrem Verbrauch am Leben gehalten wurden. Und nun tauchten endlich die Wahrzeichen Capris auf, die drei Faraglioni-Felsen, die gewissermaßen zu unserer Pension gehörten, weil sie, von allen Fenstern und Terrassen aus sichtbar, den Horizont nach Osten abschlossen. Von der Pension aus betrachtet wirkten sie zwar dekorativ, aber keineswegs imposant. So nah wie jetzt war ich ihnen jedoch nie gekommen, und in dem kleinen Boot, keinen Meter von den steinernen Ungetümen entfernt, an ihnen entlangzugleiten, trieb mir kalte Schauer über den Rücken. Außerdem steuerte Giacobbe auch noch in die finstere Öffnung des mittleren Felsbrockens hinein – ein zerfurchtes, unheimliches Gewölbe –, und ich öffnete die Augen erst, als er hindurchgerudert war. Zu meiner Freude befanden wir uns nun auf der Südseite, und wenn auch meine Ungeduld wuchs, die Marina Piccola zu erreichen, legte sich wenigstens endgültig die Ängstlichkeit. 'Auf dieser Strecke gibt es weiter keine Meeresgrotten', sagte Herr Schlegel und klappte den Reiseführer zu. Er wusste so wenig wie ich, dass sich unterhalb der Certosa, dem Ufer, an dem wir gerade vorbeiglitten, Capris größte Grotte überhaupt befand, die aber 1808 durch einen Einsturz unzugänglich geworden war. Grotten konnten also sehr wohl einstürzen – mir, die ich wegen meiner Schreckensvisionen immer als Angsthase verlacht wurde, wäre diese Tatsache damals wohl eine willkommene Bestätigung gewesen. Punta Tragara, Unghia Marina, Pennaulo, Torre Saracena – still zählte ich alle Namen der Orte auf, an denen wir vorbeifuhren, und endlich sah ich auf 'unserem' Strand meine Geschwister planschen und wäre am liebsten ins Wasser gesprungen und zu ihnen hinübergeschwommen. 'Geschlagene vier Stunden!', sagte Herr Schlegel, als das Boot an der kleinen Felsenhalbinsel Sirena anlegte und wir ausstiegen. 'Na, hat’s dir gefallen?', fragte mich Frau Schlegel, und ich antwortete brav: 'Ja – und danke, dass ich mitdurfte.'