Die Münchner ,Altstadt' ist de facto neu. Ihre Gebäude stammen weitgehend aus den Nachkriegsjahrzehnten. Große Bereiche rings um die Frauenkirche lagen am Ende der Trümmerräumung als eingeebnetes Bauland für den Neuaufbau bereit. Dass die Altstadt, also der Bereich innerhalb des Altstadtrings, dennoch auf den...
Die Münchner ,Altstadt' ist de facto neu. Ihre Gebäude stammen weitgehend aus den Nachkriegsjahrzehnten. Große Bereiche rings um die Frauenkirche lagen am Ende der Trümmerräumung als eingeebnetes Bauland für den Neuaufbau bereit. Dass die Altstadt, also der Bereich innerhalb des Altstadtrings, dennoch auf den ersten Blick als ,gewachsenes' Ensemble erscheint, ist kein Zufall, sondern das Ergebnis sorgfältiger Planung und umsichtiger Bau- und Denkmalpolitik. Das Buch "Münchens geplante Altstadt" von Carmen M. Enss zeigt die Planungs- und Umsetzungsschritte des Münchner Wiederaufbaus. Erstmals werden hier exklusiv Zeichnungen aus dem Stadtarchiv veröffentlicht - eine detaillierte städtische Planung im Maßstab 1:1000, die eigens für die Analyse der Schäden, die exakte Kartierung der Baudenkmäler und für die Planung städtebaulicher Modernisierungen und Sanierungen der Altstadt angefertigt wurde. Historische Dokumente in einer Genauigkeit, die ihresgleichen sucht.
Altstadt im Umbau Bisher war nicht bekannt, wie strukturiert und vorausschauend das Aufbaumanagement inmitten der Nackriegswirren und der rechtlichen Unsicherheiten agierte. Wiederaufbauplanungen, die bereits in der Kriegszeit entstanden und die bisher kaum bekannt waren, können im Rückblick den schnellen Beginn der Räumungs- und Aufbauarbeiten in München erklären. Die Entwürfe aus dem Stadtbauamt gehen teils sogar auf Stadtentwicklungsplanungen zurück, die der Architekt Theodor Fischer seit Ende des 19. Jahrhunderts im Münchner Stadterweiterungbüro angefertigt hatte. Im Sommer 1945, unmittebar nach Kriegsende, bemühten sich Stadtbaurat Karl Meitinger und seine Kollegen, die wichtigsten erhalten gebliebenen aber einsturzgefährdeten Fassaden der Brandruinen sichern zu lassen. Später wurden sie konstituierend für das Bild der neuen Altstadt. Der Altstadtring und die Stadttore, ebenfalls gesichert, definierten die Grenzen des Altstadtensembles, das Karl Meitinger sich zunächst als einheitlich wirkende ‚Heimat‘-Zone vorstellte.
Hermann Leitenstorfer, der Karl Meitinger als Stadtbaurat nachfolgte, gelang es ab 1946, Meitingers Leitbild der städtischen Wiederaufbauplanung in ein offeneres, neues Gestaltungsumfeld zu überführen. Die historischen Bauten sollten weiterhin möglichst vollständig in das neue Stadtgewebe eingefügt, jedoch durch erkennbare Neubauten ergänzt werden. So wurde der Wiederaufbau auch in gestalterischer Hinsicht zu einer „Inneren Stadterweiterung“. Von heute aus betrachtet, erleben wir ein sichtbar erneuertes Stadtzentrum, in dem historische Bauten und Reminiszenzen an frühere Stadträume verankert bleiben.
„Münchens geplante Altstadt“ belegt und analysiert erstmals umfassend die städtische Aufbauplanung und das Aufbaumanagement. Der Text operiert souverän an der Schnittstelle von Architektur-, Denkmalpflege- und Stadtbaugeschichte. Er bietet ein „Missing Manual“ für die bekannte Planung aus Karl Meitingers Buch: „Das neue München“. Und er stellt die Münchner Planung kenntnisreich in einen weiten europäischen Zusammenhang.
Dr. Carmen M. Enss studierte Architektur und Denkmalpflege und promovierte an der Technischen Universität München. Sie arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleiterin an der Universität Bamberg.