Martin Gross ist vor allem durch seine beiden ¿Tagebuch-Romane¿ Das letzte Jahr (Spector Books) und Ein Winter in Jakuschevsk bekannt geworden. Auch in seinem jüngsten Roman ¿Nadjas Geschichte¿ wählt der Autor diese Form, die allerdings nicht dazu verführen sollte, Gross' Aufzeichnungen autobiografisch zu lesen....
Martin Gross ist vor allem durch seine beiden ¿Tagebuch-Romane¿ Das letzte Jahr (Spector Books) und Ein Winter in Jakuschevsk bekannt geworden. Auch in seinem jüngsten Roman ¿Nadjas Geschichte¿ wählt der Autor diese Form, die allerdings nicht dazu verführen sollte, Gross' Aufzeichnungen autobiografisch zu lesen. Denn es geht es nicht um den Autor. Gross stützt sich in seinem Schreiben zwar auf eigene, durchaus auch private Aufzeichnungen, doch ist der Sinn des Rückgriffs auf biografisches Material nicht die Selbsterkundung. Vielmehr geht es Gross darum, ein größeres Maß an Authentizität und Allgemeingültigkeit zu errei-chen. Die Tagebuchform erlaubt, Ereignisse anhand des realen Ablaufs ihrer Elemente zu schildern. Das erleichtert es der Erzählung, vom Auto-biografischen zu abstrahieren, ohne sie dem tat-sächlichen Erleben zu entfremden. Die Tage-buchform bewahrt auf diese Weise das Ticken der Zeit in den Vorgängen des Lebens. Ge-danken, Schilderungen, Beobachtungen, flüch-tige Eindrücke erhalten auf diese Weise ein Bedeutungspotential und eine Autonomie, die ihre Wahrnehmung durch den Leser schärft. Gleichzeitig erfüllt die Tagebuchform auch dramaturgische Bedürfnisse. Denn sie weiß weder, wie alles zusammenhängt, noch wohin es führen wird.
„Nadjas Geschichte“ erzählt von einer persönlichen und einer politischen Zeitenwende. Kurz bevor russische Truppen die Ukraine überfallen, erleidet die in Deutschland lebende Russin Nadja eine Gehirnblutung, welche ihr Sprache und Erinnerung raubt. Mit Hilfe des – wie so oft bei Martin Gross – Tagebuch führenden Erzählers beginnt ein langer Heilungsprozess. Minutiös wird festgehalten, wie sich Nadja in kleinen Schritten neu in ihrer Gegenwart orientiert. Aber wer ist diese Frau nach der Hirnblutung? In Gesprächen und Erinnerungen während des Jahres 2022 wird Nadjas Biografie ebenso rekonstruiert wie die russische Alltagsgeschichte von den 1970er Jahren bis zum gegenwärtigen Krieg. „Nadjas Geschichte“ ist Martin Gross’ bisher persönlichstes Buch.
Martin Gross hat ab 1998 lange Zeit in europäisch-russischen Projekten gearbeitet und wurde aus nächster Anschauung Zeuge des Scheiterns der damaligen Ost-West-Annäherung, das er in seinem Roman „Ein Winter in Jakuschevsk“ (Sol et Chant, 2022) beschrieben hat. Mit „Nadjas Geschichte“ schreibt Gross die Auseinandersetzung mit Russland, seinen Menschen und dem Krieg bis in die Gegenwart fort.
Über „Ein Winter in Jakuschevsk“: „... in seinem Genre einzigartig. ... durch [die] Beobachtung, den Ton, die Gelassenheit, den Rhythmus der Erzählung [wurde] die angemessene Form gefunden, um zu erfassen, was von fast niemandem erfaßt worden ist: ein Begriff von anderer Zeit und Zeitvorstellung, von anderer Raumwahrnehmung und alle[m], was sich an Menschenleben eben in dieser Raum-Zeit abspielt.“ Prof. Karl Schlögel (Mitteilung an M. Gross) „Wie unter einem Glassturz ... lässt sich so jenes Jahr besichtigen, in dem Russ- lands Abwendung vom Westen Fahrt aufgenommen hat.“ Nils Kahlefendt (FAZ) „... zeigt ... auf, was alles schiefgelaufen ist und was niemals funktionieren konn-te.“ Tobias Lehmkuhl (DLF)
Martin Gross 1952 im Landkreis Calw geboren 1973 ¿ 1980 Studium der Germanistik an der FU Berlin 1981 ¿ 1991 Lehrbeauftragter an der FU Berlin, freier Mitarbeiter verschiedener Feuilletons 1990 lange Aufenthalte in Dresden für Recherchen zum Buch ¿Das letzte Jahr¿, Basisdruck 1992 und Spector Books 2020 1992 ¿ 1998 Familienphase, kleinere Arbeiten in Literatur, Feuilleton und Germanistik 1998 ¿ 2016 Organisation internationaler wissenschaftlicher Projekte mit russischen und indischen Partnern, zahlreiche Aufenthalte in Sibirien. Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Universitäten Lüneburg, Hannover und Köln 2022 ¿Ein Winter in Jakuschevsk¿, Roman, Verlag Sol et Chant. Martin Gross engagiert sich seit 2015 in der Flüchtlingshilfe.