Die Sigmund-Freud-Vorlesungen 2021 erkunden, wie Aggression, Zerstörung und Gewalt aus psychoanalytischer Sicht zu verstehen sind. Dabei werden Fragen der metapsychologischen Verortung ebenso gestellt wie Fragen danach, welche Rolle die Aggression in der individuellen Entwicklung, in der therapeutischen Klinik, in...
Die Sigmund-Freud-Vorlesungen 2021 erkunden, wie Aggression, Zerstörung und Gewalt aus psychoanalytischer Sicht zu verstehen sind. Dabei werden Fragen der metapsychologischen Verortung ebenso gestellt wie Fragen danach, welche Rolle die Aggression in der individuellen Entwicklung, in der therapeutischen Klinik, in Kunst, Kultur und Gesellschaft spielt. Äußerungen von Aggression sind jene Phänomene, die uns sowohl individuell als auch in Staat und Gesellschaft am meisten zu schaffen machen. Als Gewalt laut und schreckenerregend, dominieren sie, wo sie vorfallen, augenblicklich den Diskurs - nur um als Destruktivität, weit weniger auffällig und zu Strukturen in Beziehungen und Institutionen geronnen, das Geschehen zu dominieren. Am Umgang mit ihnen zu scheitern, ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Die Schwierigkeit, mit Aggression in der Praxis umzugehen, spiegelt sich auch in der psychoanalytischen Theorie wider: Hier wie dort findet sie keinen rechten Platz. Anfangs als Sadismus und Bemächtigungstrieb der Sexualität lediglich beigemengt, im Ödipuskomplex als mörderische Feindseligkeit gegen den gleichgeschlechtlichen Elternteil konzipiert, spielt sie in der ersten Freud'schen Triebtheorie eine kaum benannte Rolle und ist auch in der zweiten nur sekundär vom Todestrieb abgeleitet. So zahlreich die Konzepte sind, die in der Psychoanalyse seither entworfen wurden - über die grundlegenden Fragen herrscht bis heute keine Einigkeit. Nicht einmal darüber, ob der Aggression der Status eines Triebes zukommt oder nicht. Freuds berühmtes Diktum offenbart auch sein Schwanken: »Ich kann mich nicht entschließen, einen besonderen Aggressionstrieb [...] anzunehmen« (Freud, 1909b, 371f.).
Sabine Schlüter, Mag.a phil., Studium der Geschichte, Publizistik und Philosophie, Psychoanalytikerin mit Lehrbefugnis (WAP/IPA) in freier Praxis, Verlagslektorin, Co-Leiterin des Departments für Theorie und Wissenschaft der Wiener Psychoanalytischen Akademie, Herausgeberin für Österreich der Zeitschrift für psychoanalytische Theorie und Praxis. Arbeitsschwerpunkte: Triebtheorie, Metapsychologie, psychoanalytisches Verständnis von Sprache, Literatur und gesellschaftlichen Prozessen. Victor Blüml, Assoc.-Prof. Priv.- Doz. Mag. DDr., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin sowie Psychoanalytiker (WPV/IPA). Studium der Medizin und Philosophie in Wien und Paris. Assoziierter Professor an der Universitätsklinik für Psychoanalyse und Psychotherapie der Medizinischen Universität Wien. Forschungsschwerpunkte: Persönlichkeitsstörungen, Suizidalität und psychoanalytische Konzeptforschung.