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Bevor ich mein Herz in deine Hände lege

Bevor ich mein Herz in deine Hände lege

vonHedlund, Jody
Deutsch, Erscheinungstermin September 2021
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Britisch-Kolumbien 1862: Arabella Lawrence ist mit dem Brautschiff nach Kanada gekommen, um einen Neuanfang zu wagen. Obwohl sie aus einer wohlhabenden Familie stammt, hatte sie gute Gründe, ihre Heimat zu verlassen - ihre Narben erinnern sie jeden Tag daran. Als eine der wenigen noch unverheirateten Frauen in der...

Informationen zum Titel

978-3-96362-218-2
September 2021
2021
1
Auflage
Buch (broschiert)
409 g
350
135 mm x 200 mm x 32 mm
Color of cover: Black, Color of cover: Brown, Color of cover: Silver
Deutsch
eng
Belletristik: religiös, spirituell, Historische Liebesromane, Belletristik in Übersetzung, Belletristik: allgemein und literarisch, Historischer Roman
Britisch-Kolumbien 1862: Arabella Lawrence ist mit dem Brautschiff nach Kanada gekommen, um einen Neuanfang zu wagen. Obwohl sie aus einer wohlhabenden Familie stammt, hatte sie gute Gründe, ihre Heimat zu verlassen - ihre Narben erinnern sie jeden Tag daran. Als eine der wenigen noch unverheirateten Frauen in der Kolonie hat sie gleich zwei Verehrer, die nicht unterschiedlicher sein könnten: der eine ein angesehener Leutnant, der andere ein einfacher Bäcker. Allerdings gehen ihre Ansichten zum Umgang mit den Ureinwohnern während der Pockenepidemie weit auseinander. Als Arabella schließlich ein Mädchen findet, das von seinem Stamm zurückgelassen wurde, gerät sie in eine äußerst schwierige Lage ...
Jody Hedlund lebt mit ihrem Mann, den sie als ihren größten Fan bezeichnet, in Michigan. Ihre fünf Kinder werden zu Hause unterrichtet. Die Zeit, die ihr neben dieser Tätigkeit noch bleibt, widmet sie dem Schreiben.
Kapitel 1

Vancouver Island
18. September 1862

Heute würde sie vielleicht ihrem künftigen Mann begegnen.
Aufrecht und äußerlich ruhig und beherrscht, wie es sich für eine Dame ziemte, stand Arabella Lawrence auf dem Hauptdeck des Schiffs, obwohl sie bei der Vorstellung, möglicherweise bald den Mann zu sehen, den sie heiraten würde, fast in Ohnmacht fiel. Genau wie die anderen Frauen warf sie verstohlene Blicke zu den obersten Sprossen der Leiter und wartete gespannt.
Nach gut hundert Tagen an Bord des Brautschiffs hätte sie für diesen Moment eigentlich gewappnet sein müssen. In den langen, eintönigen Tagen auf dem Meer hatte sie reichlich Zeit gehabt, sich vorzubereiten. Aber jetzt, da sie vor Vancouver Island angelegt hatten, war ihre ganze Unsicherheit zurück.
Sie öffnete ihren Fächer und kühlte ihr Gesicht. Die Meeresluft war mild für September und immer noch vom starken Fischgeruch der Lachse durchdrungen, die die indianischen Ureinwohner am Vorabend verkauft hatten, nachdem das Schiff in der Esquimalt Lagoon vor Anker gegangen war.
In der Abenddämmerung war der Anblick der langen Einbäume, die über das Wasser geglitten waren, beängstigend gewesen, denn in jedem der langen Boote hatten mehrere dunkelhäutige Menschen mit langen schwarzen Haaren gesessen. Einige Damen hatten sich angsterfüllt zusammengekauert und befürchtet, sie wären um die halbe Welt gefahren, um jetzt von Kannibalen enthauptet und verspeist zu werden.
Die Schiffscrew hatte die Frauen beruhigt und ihnen erklärt, dass die Indianer keine bösen Absichten verfolgten. Wenn sie einen Angriff planen würden, säßen in den Einbäumen bis zu den Zähnen bewaffnete Männer mit schwarz bemalten Gesichtern. Doch die halb nackten Männer, Frauen und Kinder hatten das Schiff nicht mit Waffen, sondern mit Fisch begrüßt.
Jetzt war von den Indianern keine Spur zu sehen und die heutigen Besucher waren in Langbooten aus der Stadt gekommen und trugen elegante Anzüge und Zylinder.
»Sie müssen sich dem Begrüßungskomitee von Ihrer besten Seite zeigen«, ermahnte die Leiterin der Gruppe, Mrs Robb, die Frauen. Sie hatte am Morgen alle angewiesen, sich sauber anzuziehen und frisch zu machen, bevor sie den angesehenen Herren der Stadt vorgestellt wurden, die aus Victoria kamen, um die künftigen Bräute zu begrüßen und frische Lebensmittel zu bringen.
Auf der Backbordseite des Schiffs spiegelten sich der Pinienwald und die Felsen im glasklaren Wasser der Lagune. Auf der anderen Seite erhoben sich über der Juan-de-Fuca-Straße die schneebedeckten Gipfel der Olympic Mountains. Arabella war fasziniert von dem atemberaubenden Anblick. Sie hätte nichts dagegen, jeden Morgen von diesem Panorama begrüßt zu werden.
Ein lauter Ruf von Steuerbord und das metallene Klirren der Leiter ließen sie stockend einatmen.
»Stellen Sie sich bitte in einer ordentlichen Reihe auf!«, forderte Mrs Robb die Frauen auf und klatschte in die Hände. Die groß gewachsene, ernste Matrone war schon bei Antritt der Fahrt dünn gewesen, aber jetzt bestand sie nur noch aus Haut und Knochen; ihre Wangen waren eingefallen und ihr Haar wirkte stumpf und matt. Alle Passagiere hatten unter der langen Fahrt gelitten und Gewicht verloren.
Arabella berührte eine Strähne ihres langen kupferroten Haars. Jeden Abend vor dem Schlafengehen hatte sie es mit hundert Strichen gebürstet und sich auch sonst bemüht, während der Überfahrt auf ihre Körperpflege zu achten. Da sie sich in den letzten drei Monaten nur mit einem Schwamm hatte reinigen können und die Möglichkeiten zum Haarewaschen sehr eingeschränkt gewesen waren, waren ihre dichten Locken jedoch sehr widerspenstig geworden. Hinzu kam, dass sich ihre Sommersprossen trotz ihrer Bemühungen, die Sonnenstrahlen zu meiden, zahlreich auf ihrer Nase und ihren Wangen ausgebreitet hatten und deutlich zu sehen waren, obwohl sie Reispuder aufgetragen hatte.
Nicht nur ihr Haar und ihre Sommersprossen waren ein Pro-blem, auch ihre Kleider standen ihr nicht mehr so gut wie noch vor der Reise. Sie war häufig seekrank gewesen und das hatte traurige Spuren hinterlassen: Die schönen Kreationen aus Organza, Seide und Grenadine, die ihr früher wie angegossen gepasst hatten, hingen jetzt viel zu weit an ihrem dürren Körper. Auf dem Schiff hatten alle Damen ihre umständlichen Reifröcke sehr bald abgelegt, aber heute hatten sie sie wieder hervorgeholt, da ihre Kleider durch die Stahlreifen darunter viel voluminöser wirkten.
Arabella reihte sich zwischen den anderen Damen ein. Ihr war bewusst, dass sie es ihnen nachtun und ein Lächeln aufsetzen sollte. Schließlich hatte sie sich schon immer danach gesehnt zu heiraten, auch wenn sie nicht mehr damit gerechnet hatte, noch einen Mann zu finden. Wenigstens keinen, den sie sich selbst aussuchen konnte.
Doch ihre aufgewühlten Nerven ließen sich genauso wenig bändigen wie das launische Meer.
Der Fähnrich beugte sich über die Reling und half dem ersten Mann, der die Leiter heraufkam. Als er auftauchte, kehrte auf dem Deck Schweigen ein. Arabella starrte den Neuankömmling genauso erstaunt an wie die anderen Frauen, auch wenn ein solches Verhalten natürlich wenig damenhaft war.
Als die Stiefel des Mannes einen festen Stand auf dem Deck gefunden hatten, richtete er sich auf und rückte seinen schwarzen Zylinder zurecht. Da er den Kopf schief legte, konnte sie seinen weißen Schnurrbart und seine langen weißen Koteletten sehen. Der Mann war um einiges älter, als sie erwartet hatte.
Vor ihrem geistigen Auge tauchte sofort ein anderes altes Männergesicht auf, aufgedunsen und mit borstigeren Koteletten. Harte, fordernde Augen. Schmale Lippen, die sich missbilligend verzogen.
Ein eisiger Schauer lief Arabella über den Rücken, auf dem die Narben für immer von der schlimmsten Zeit ihres Lebens erzählen würden. Bei der Erinnerung an die Schläge schloss sie die Augen, aber sie konnte den Schmerz, der sie wie ein Albtraum verfolgte, nicht ausblenden.
Es ist vorbei. So etwas wird nie wieder passieren.
Sie versuchte, sich selbst stumm Mut zuzusprechen, wie sie es immer wieder getan hatte, seit sie auf das Brautschiff gekommen war. In der Londoner Gesellschaft war sie mit ihren fünfundzwanzig Jahren eine alte Jungfer gewesen und der einzige Mann, der sie gewollt hatte, war mehr als doppelt so alt gewesen wie sie. Aber hier in diesem neuen Land, wo es angeblich zehnmal mehr Männer als Frauen gab …
Als sie die Augen wieder aufschlug, sah sie, dass Kapitän Hellyer auf den älteren Herrn zugetreten war und ihm nun die Hand reichte. Gleichzeitig half der Fähnrich dem nächsten Mann aufs Deck. Kurze Zeit später war es förmlich von elegant gekleideten Herren überschwemmt. Einige trugen Zivilkleidung, andere die blauen Uniformen der Königlichen Marine. Sie begrüßten zuerst den Kapitän und dann mehrere wichtige Passagiere, einschließlich Lord Colville, den Schiffsarzt, und Pastor Scott, den zweiten Begleiter, den die Columbia-Missionsgesellschaft für die Frauen abgestellt hatte.
Die Frauen fanden allmählich ihre Sprache wieder und setzten ihre aufgeregten Gespräche fort.
Als alle Besucher an Bord waren, hielt Kapitän Hellyer eine kurze Begrüßungsrede. Anschließend stellte der ältere Herr, der als Erster aufs Schiff gekommen war, sich als Mr Edward Harris vor, der Bürgermeister von Victoria. Er richtete einige freundliche Worte an die Frauen und machte sie mit den wichtigsten Männern des Einwanderungskomitees bekannt: dem Leiter der Einwanderungsbehörde, dem Präsidenten der Handelskammer, dem anglikanischen Pfarrer der Christ Church Cathedral und einigen anderen, deren Namen Arabella sich nicht merken konnte.
Während er sprach, ließen etliche der Männer ihre Blicke ungeniert über die Frauen wandern. Angesichts dieser ungewohnten Aufmerksamkeit kicherten die jüngeren Waisenmädchen und tuschelten aufgeregt miteinander. Mercy Wilkins, eine der armen Frauen aus den Londoner Slums, versuchte, sie zu beruhigen. Sie war selbst nicht viel älter als sie, hatte sich aber während der Fahrt wie eine Mutter um die Mädchen gekümmert. Auch zu Arabella war sie immer sehr freundlich und hatte sie sogar gepflegt, als sie krank gewesen war.
Die Frauen aus der Unterschicht würden ihre künftigen Männer morgen finden, wenn sie an Land gingen und die Arbeiter, Händler und Goldgräber kennenlernten, die den Großteil der Stadtbewohner ausmachten. Falls man den Gerüchten glauben durfte, warteten Hunderte Männer in Victoria auf ihre Ankunft. Arabella und die anderen Damen der Mittelschicht hingegen würden ihre Gemahle in den gehobenen Kreisen finden, unter den wichtigen und führenden Männern der Stadt, zu denen ihre Besucher gehörten.
Ihre beiden Reisebegleiter hatten den Frauen versichert, dass ausnahmslos jede von ihnen, ob arm oder reich, die Gelegenheit bekommen würde, einen guten Ehemann zu finden.
Während unter den Herren Brandy und Sherry ausgeschenkt wurde, schlenderten sie ungezwungen zu den Damen. Arabellas Stiefmutter wäre entsetzt gewesen, hätte sie erlebt, wie sich diese Herren aus gutem Hause einfach selbst vorstellten, ohne sich an die Etikette zu halten. Aber unter den gegebenen Umständen gab es wohl keine andere Möglichkeit.
Arabellas Kehle war vor Nervosität wie zugeschnürt und sie schluckte schwer. Zum tausendsten Mal, seit sie weggelaufen war, quälten sie die Zweifel. War es die richtige Entscheidung gewesen, aus London wegzugehen? Sie hatte ihre Familie nicht verletzen wollen, aber durch ihr plötzliches Verschwinden hatte sie ihnen zweifellos große Probleme bereitet. Sie strich über die überlappenden Stoffschichten ihres Rocks und rang mit ihren Schuldgefühlen. Das elegante Kleid aus smaragdgrünem Musselin mit ebenholzschwarzen Samtbiesen erinnerte sie nicht nur an ihre Familie, sondern auch an den Lebensstandard, den sie aufgegeben hatte. Obwohl die Förderer dieser Reise den Damen versichert hatten, dass es in Victoria eine Oberschicht gebe, die sich nach der Pariser Mode kleidete, befürchtete Arabella, genauso wie viele der anderen Damen, dass sie sich mit einem hinterwäldlerischen Lebensstil und einer unattraktiven Mode würde abfinden müssen.
Sie schalt sich im Stillen für ihre Gedanken. Statt sich von Vorurteilen leiten zu lassen, sollte sie sich lieber darauf konzentrieren, wenigstens das Interesse eines der anwesenden Herren zu wecken. Nach all der Zeit in einer beengten Kajüte auf dem Meer war sie wirklich nicht in bester Verfassung, aber in einer Stadt, in der so viele Männer eine Frau suchten, hatte sie bestimmt eine Chance, einen Verehrer zu finden.
Die drei Marineoffiziere schlenderten zu Arabella und den Damen, mit denen sie sich ihre Kabine teilte, herüber. In ihren makellosen weißen Hosen und steifen blauen Jacken strahlten sie Autorität aus. Die goldenen Biesen an ihren Manschetten und ihre Schulterklappen wiesen auf ihren hohen Rang hin.
»Meine Damen«, sagte der größte der drei. Er neigte Kopf und Oberkörper zu einer leichten Verbeugung. »Wären Sie so freundlich, uns zu erlauben, uns vorzustellen?«
Nacheinander nannten die Männer höflich und selbstbewusst ihre Namen.
»Leutnant Drummond von der HMS Foxtail«, sagte der groß gewachsene Offizier und blickte zuerst Arabella und dann die anderen Damen an.
Das rabenschwarze Haar unter seiner Offiziersmütze war gewellt, aber ordentlich gekämmt. Mit seinen dunklen Koteletten und seinem gepflegten Schnurrbart sah er attraktiv aus, was durch die dunklen Brauen über seinen tief sitzenden Augen noch betont wurde.
Als sich die anderen Frauen vorstellten, antwortete ihnen Leutnant Drummond höflich, wie es die Etikette vorschrieb, aber seine Aufmerksamkeit wanderte immer wieder zu Arabella. Er verhielt sich dabei nicht gerade unauffällig und sie spürte, wie sie errötete.
»Das ist Miss Arabella Lawrence«, füllte Miss Spencer das Schweigen, das plötzlich eingekehrt war. Normalerweise trug die junge Frau hochgesteckte Zöpfe, doch heute hatte sie Arabella gebeten, ihr Haar eleganter zu frisieren, und sah nun wirklich sehr hübsch aus.
»Miss Lawrence«, sagte der Leutnant mit einer weiteren Verbeugung, »es ist mir eine Freude, Ihre Bekanntschaft zu machen. Ich hoffe, Vancouver Island hat Ihnen bisher gefallen?«
Da plötzlich aller Augen auf sie gerichtet waren, antwortete Arabella mit der beherrschten Würde, die ihre Stiefmutter ihr anerzogen hatte: »Ja, danke. Es ist sehr schön hier.«
Das leichte Lächeln auf seinen Lippen zeigte, dass sie so geantwortet hatte, wie es von ihr erwartet wurde.
»Wenn sich die Damen in Victoria eingerichtet haben, hoffe ich sehr, dass Sie uns erlauben, Ihnen mehr von der Gegend zu zeigen.« Die Einladung des Leutnants richtete sich an alle, aber sein Blick wich nach wie vor nicht von Arabella.
Sie sollte sich geschmeichelt fühlen. Das war es doch, was sie wollte, oder? Aber statt innerlich vor Freude zu jubeln, lief ihr ein Schauder über den Rücken, der sie an die Schmerzen erinnerte, die Männer Frauen zufügen konnten.
In Gedanken kehrte sie zu dem Tag vor vier Monaten zurück, als ihr Vater sie in sein Büro gerufen hatte, um ihr mitzuteilen, dass er einen Mann für sie gefunden habe. Halb hinter den Papierstapeln auf seinem Schreibtisch versteckt, hatte er ihr diese Nachricht überbracht, ohne von dem Dokument, das vor ihm lag, aufzublicken. Sie hatte die kahle runde Stelle auf seinem Hinterkopf angestarrt, während ihr hundert Fragen durch den Kopf geschossen waren. Wer? Wann? Warum?
Arabella hatte jahrelang keinen Verehrer gehabt, während ihre jüngere Schwester Florence inzwischen längst geheiratet und ein Baby bekommen hatte. Im Stillen hatte sie ihren lebenslangen Traum von einem Mann und einer eigenen Familie traurig begraben. Sie hatte sich damit abgefunden, das Schicksal vieler Frauen ihres Standes zu teilen und allein zu bleiben. Es war kein Geheimnis, dass es in London nicht genügend geeignete Junggesellen gab, da in den letzten Jahren viele Männer ausgewandert waren.

Arabella stand im Büro ihres Vaters und wartete schweigend darauf, dass er weitersprechen würde, auch wenn in ihrem Inneren alles rumorte.
Nach mehreren endlos langen Momenten seufzte er schwer, steckte seine Feder ins Tintenfass und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Er blickte ihr aber immer noch nicht in die Augen. »Arabella, es ist für alle das Beste«, setzte er an, brach dann aber wieder ab und fuhr mit der Hand über seinen gepflegten Bart. Das machte er immer, wenn er nervös war.
Wieder wartete Arabella, einen Knoten im Magen.
»Deine Stiefmutter denkt, du wirst zufrieden sein«, fuhr er fort, als wäre Elizabeths Meinung das Einzige, was zählte.
Arabella wünschte, sie könnte sich auf das Urteil ihrer Stiefmutter verlassen, doch sie hatte im Laufe der Jahre auf schmerzliche Weise gelernt, dass sich Elizabeth nur für zwei Menschen interessierte: für sich selbst und für ihren Sohn. Alles, was sie tat, einschließlich der Erziehung und Bildung, die sie Arabella und Florence hatte zuteilwerden lassen, hatte zum Ziel, ihren eigenen Status zu verbessern.
»Er wird gut für dich sorgen können«, schob ihr Vater nach.
»Wer, Vater?« Sie zwang sich, die Frage auszusprechen, obwohl sie nicht sicher war, ob sie die Antwort hören wollte.
Ihr Vater griff erneut zu seiner Feder, spielte damit herum und tauchte sie in die Tinte. »Mr Major.«
Arabella atmete scharf ein.
»Er besteht auf dich, Arabella.« In der Stimme ihres Vaters schwang eine ungewohnte Entschuldigung mit. »Ich habe vergeblich versucht, ihn umzustimmen.«
»Er ist älter als du, Vater!« Die Klage von ihrer Seite war genauso außergewöhnlich wie die Entschuldigung ihres Vaters. Arabella wusste, dass Damen wie sie ihre negativen Gedanken für sich behalten sollten, dass sie nur freundliche und positive Worte äußern sollte.
»Es gibt Wichtigeres als das Alter.« Ihr Vater starrte die Zahlen auf dem Blatt an, das vor ihm lag. »Deine Stiefmutter hat recht: Du wirst endlich deinen eigenen Haushalt führen und Kinder bekommen können und es wird dir in deinem ganzen Leben nie an etwas mangeln. Das gleicht doch etwaige Defizite aus, nicht wahr?«
Mr Major war nicht nur so alt, dass er ihr Großvater sein könnte, er war auch ein unangenehmer Mensch. Als Präsident der Bank, in der ihr Vater arbeitete, hatte er diesem schon oft Schwierigkeiten bereitet.
Vielleicht würde diese Verbindung ihren Vater in eine bessere Position bringen und ihm das Leben in der Bank erleichtern. Und vielleicht hatte er recht und die Vorzüge der Ehe würden Mr Majors unangenehme Eigenschaften wettmachen. Sie hätte ihr eigenes Haus, würde ihrem Vater nicht länger auf der Tasche liegen und Elizabeth nicht mehr zur Last fallen. Sie könnte selbst Kinder bekommen und müsste nicht mehr traurig zusehen, wie glücklich Florence mit ihrem Baby war. Außerdem könnte ihr Mr Major definitiv den Luxus bieten, den sie gewohnt war.
»Nun?«, fragte ihr Vater und schaute sie zum ersten Mal direkt an. Die tiefen Krähenfüße in seinen Augenwinkeln und die Sorgenfalten auf seiner Stirn zeigten, dass sie ihm nur eine einzige Antwort geben konnte.
»Natürlich, Vater.«
»Er will, dass die kirchliche Trauung in vier Wochen stattfindet.«
»So bald schon?«
»Er meinte, er sei zu alt, um sich mit einer langen Verlobungszeit aufzuhalten.«
Natürlich! Ein Mann in Mr Majors Alter verschob nichts auf später, da er befürchten musste, es sonst nicht mehr zu erleben.
»Gut, Vater. Ich werde sofort mit den Hochzeitsvorbereitungen beginnen.«
Sie sah den Stolz in seinen Augen. »Du bist ein gutes Mädchen, Arabella.«
Das Lob stärkte ihre Entschlossenheit, alles für das Gelingen dieser Ehe zu tun. Sie hatte ihren Traum von einer eigenen Familie aufgegeben. Jetzt schenkte ihr Gott großzügig eine Chance, ihn doch noch zu verwirklichen. Vielleicht würden Mr Major und sie keine tiefe Liebe zueinander empfinden, aber sie könnte wenigstens versuchen, eine gewisse Zuneigung zu ihm zu entwickeln.

»Das Begrüßungskomitee plant diese Woche eine Regatta«, sagte Leutnant Drummond und holte Arabella damit in die Gegenwart zurück. »Es wäre uns eine Ehre, wenn Sie uns bei dieser Veranstaltung Gesellschaft leisten würden.«
Arabella verdrängte das unheilvolle Gefühl, das sich in ihr regte, so gut es ging. Waren diese Männer vertrauenswürdig? Ihr Blick wanderte von einem zum anderen. Sie hatten sich sauber herausgeputzt und verhielten sich taktvoll und freundlich. Auf den ersten Eindruck schienen sie alle passable Ehemänner zu sein. Aber wie sollte sie wissen, wie sie wirklich waren? In ihren gesellschaftlichen Kreisen stand eine perfekte Fassade an erster Stelle und echte Gefühle und Ehrlichkeit wurden hinter starren Höflichkeitsfloskeln versteckt.
Wie hatte sie je glauben können, sie könnte hier ein neues Leben beginnen? War sie vor einer Notlage geflohen, nur um jetzt in eine ähnlich grauenhafte Situation zu schlittern? Kam sie vom Regen in die Traufe?
Arabellas Atem ging plötzlich schnell und flach und ihre Hände zitterten. Sie faltete sie, damit niemand etwas merkte. Suchend blickte sie sich nach einer Fluchtmöglichkeit um. Wenn sie bei diesen Herren keinen schlechten Eindruck hinterlassen wollte, brauchte sie unbedingt einen Moment, um sich wieder zu fassen. »Entschuldigen Sie mich bitte einen Moment?«, sagte sie zu niemand Bestimmtem.
Leutnant Drummond streckte die Hand aus, als wollte er sie stützen. »Kann ich etwas für Sie tun?«
Sie neigte dankend den Kopf. »Nein danke, Sir. Ich bin gleich wieder zurück.«
Bevor jemand sie aufhalten konnte, huschte sie auf den Gang, der vom Hauptdeck zu den Kabinen führte. Sie brauchte nur einen Augenblick für sich, um ihre Gedanken zu ordnen und sich an die Gründe zu erinnern, aus denen sie auf das Brautschiff gekommen war.
Arabella entfernte sich viel zu eilig von den vielen Leuten, doch gerade, als sie ihre Schritte verlangsamen wollte, hörte sie jemanden hinter sich und lief schnell weiter.
Sie huschte durch die halb offene Tür zum Speisesaal des Schiffs und schloss sie leise hinter sich. Mit der Hand auf dem Griff lehnte sie sich an die Tür und spannte sich nervös an – die fremden Schritte kamen näher! Aber dann hörte Arabella die Person vorbeilaufen. Erleichtert lehnte sie die Stirn an die glatte Eichentür.
Sie atmete tief aus. »Gütiger Himmel, Arabella! Was machst du nur?« Ihr geflüsterter Tadel hallte in dem unbeleuchteten Raum wider. »Du kannst nicht jedes Mal weglaufen, wenn du Angst bekommst. Wo ist dein Mut?«
Obwohl sie in den letzten Monaten versucht hatte, tapfer zu sein, erlaubte sie ihren Ängsten viel zu oft, ihr Tun zu diktierten. Sie atmete mehrmals tief ein und hob dann das Kinn. Sie musste wieder dort hinausgehen, sich unter die Leute mischen und sich auf das Ziel konzentrieren, das sie hierhergeführt hatte.
Hinter ihr räusperte sich jemand.
Arabella wirbelte mit einem Keuchen herum und drückte die Hände gegen ihre Brust. An der anderen Seite des langen Ess- tisches stand ein Mann, in jeder Hand einen runden Brotlaib. Er war über eine Platte gebeugt, auf der sich in und neben einem Korb weitere Brote und kleine Brötchen befanden. Durch die Bullaugen an der Wand hinter ihm drang zwar nur spärlich Licht in den Raum, aber die Belustigung in seinen blauen Augen war nicht zu übersehen. Auf seinem Gesicht zeigte sich ein Bartschatten und seine dunkelbraunen Haare lockten sich auf seiner Stirn.
»Vielleicht kann ich Ihnen helfen, Ihren Mut wiederzufinden«, sagte er freundlich und bedachte sie mit einem Grinsen, bei dem sich ein Grübchen auf seinem Kinn bildete.
Arabella hatte es die Sprache verschlagen. Angestrengt versuchte sie, sich einen Ausweg aus dieser peinlichen Situation einfallen zu lassen.
Der Mann legte die beiden Brote neben die anderen Laibe auf die Platte, dann wischte er sich die Hände an seiner Schürze ab, die aussah, als müsste sie dringend gewaschen werden. »Arabella?« Er streckte den Arm über den Tisch und hielt ihr die Hand hin. »Ich bin Peter Kelly. Pete. Stets zu Ihren Diensten.«
Arabella konnte ihn nur entsetzt anstarren. Er besaß doch tatsächlich die Frechheit, sie bei ihrem Vornamen anzusprechen! Und glaubte er allen Ernstes, sie würde ihm die Hand geben? Im Umgang mit einer Dame war beides absolut inakzeptabel. Die Etikette gebot, dass sie diesem Mann den Rücken zukehrte und so tat, als würde sie ihn überhaupt nicht bemerken. Aber da sie mit ihm allein im Raum war, war sie nicht sicher, wie sie sich verhalten sollte. Eine solche Situation war in der Erziehung ihrer Stiefmutter nicht vorgesehen gewesen.
»Miss Lawrence«, sagte sie, um den nötigen Abstand wiederherzustellen.
Sollte sie ihn stehen lassen und einfach gehen? Immerhin verstieß sie gegen eine weitere Regel, wenn sie mit ihm allein blieb. Vielleicht brachte sie sich damit sogar in Gefahr. Dieser Mann war ein völlig Fremder.
Als spüre er ihre wachsende Besorgnis, ließ er die Hand sinken und grinste wieder. Es war ein schiefes Grinsen, das ihm ein jungenhaftes Aussehen verlieh. »Nun, Arabella«, sagte er, »darf ich hoffen, dass Sie in diesen Raum gekommen sind, um mich, den attraktivsten Mann auf der ganzen Insel, kennenzulernen?«
»Ich wusste doch gar nicht, dass Sie hier sind.« Sie hatte den ersten Gedanken ausgesprochen, der ihr in den Sinn gekommen war, bereute das aber sofort.
»Vielleicht hat Gott es so gefügt.« Seine Augen strahlten eine entwaffnende Freundlichkeit aus und sein Lächeln blieb neckend.
»Ich war beim Empfang des Begrüßungskomitees.« Ihre Zunge schien ihr nicht gehorchen zu wollen und machte sich schon wieder selbständig. »Ich brauchte einfach ein wenig frische Luft. Das ist alles.«
»Verstehe.« Er deutete um sich in den stickigen, halbdunklen Raum. »Und die Luft hier drinnen finden Sie gut?«
»Ich finde sie sehr erfrischend.« Bei dieser albernen Bemerkung hätte sie sich am liebsten an die Stirn geschlagen.
»Wenn das so ist, will ich Sie nicht davon abhalten, sie zu genießen. Vielleicht leiste ich Ihnen sogar ein wenig Gesellschaft.«
Als er vernehmlich ein- und wieder ausatmete, konnte sie ihn nur mit einer Mischung aus Verlegenheit und Faszination anstarren.
Er wiederholte das Ganze und atmete dieses Mal noch tiefer aus. »Die Luft ist süß«, sagte er und betrachtete ihr Gesicht. »Sehr süß.«
Flirtete dieser Mann mit ihr? Sie war den Umgang mit Männern nicht gewohnt, und schon gar nicht mit attraktiven jungen Männern. Sollte sie sich geschmeichelt oder beleidigt fühlen?
Arabella schüttelte den Kopf und straffte die Schultern. Welche Rolle spielte es schon, was sie fühlte? Dieser Mann brauchte sie nicht zu interessieren. Anders als Leutnant Drummond und die anderen Herren vom Begrüßungskomitee. Edle Männer, die hoffentlich immer noch auf sie warteten.
»Ich muss zum Empfang zurück.«
»Haben Sie nicht etwas vergessen?«, fragte er, als sie schon im Begriff gewesen war, die Tür zu öffnen. Als sie sich noch einmal zu ihm umdrehte, schaute er sie ernst an.
Ihre Hand stockte. »Wie bitte?«
Er kam um den Tisch herum und trat auf sie zu. Sie zog die Tür einen großen Spalt auf und ihr Herz hämmerte ihr in der Brust. Sie wollte auf den Gang flüchten, aber bevor sie sich in Bewegung setzen konnte, drückte er ihr etwas in die Hand.
»Ihr Mut.« Er schloss sanft ihre Finger um einen x-förmigen Gegenstand und trat dann einen Schritt zurück.
»Mein Mut?«
»Ja, den haben Sie doch gesucht?«
Sie öffnete die Hand und blickte auf ein silbernes Kreuz hinab. Es war schlicht, ohne irgendwelche Gravuren, vom vielen Tragen ganz glatt, aber massiv und fest.
»Gott wird Ihnen den nötigen Mut geben«, sagte er nahezu feierlich.
Sie zögerte. Ein solches Geschenk konnte sie nicht annehmen.
»Behalten Sie es«, sagte er.
Mut. Der fehlte ihr tatsächlich schon sehr lange. »Ich sollte nicht …«
»Ich nehme es nicht zurück«, sagte er bestimmt, bevor er wieder auf die andere Seite des Tisches zurückkehrte und seine Arbeit fortsetzte.
Ihre Finger glitten über das Kreuz. »Danke.«
Er hielt mit dem Brot in der Hand inne und blickte sie an. »Gerne.«
Die Wärme in seinen Augen und in seinen Worten löste ein ungewohntes Kribbeln in ihrem Magen aus. Sie senkte den Blick, nickte leicht und verließ den Raum.
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